„Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Söhnen werden die Zähne stumpf“,
schreibt der Prophet Ezechiel im 6. Jahrhundert vor Christus.
Heute, gut 2500 Jahre später, zeigt die naturwissenschaftliche Forschung etwa des Max-Planck-Institutes, dass er Recht hat.
NDR Morgenandacht 26. – 31. März 2012: „Die Zeit heilt nicht alle Wunden“ von Melanie Kirschstein, Pastorin in Hamburg
Ich bin geschäftlich unterwegs und mit meinen Gedanken mal wieder in der Zeit, die mein Leben geprägt hat.
Im Autoradio hörte ich die Morgenandacht, die Frau Pastorin sprach mir aus der Seele. Abends habe ich gleich ihr Manuskript als pdf herunter geladen und noch einmal gelesen.
Endlich versteht mich jemand.
Es war im ersten Hungerjahr gleich nach dem Krieg. Brot war knapp. So löffelten wir allmorgendlich bei Petroleumlicht unsere Mehlsuppe.
Mehl mit Wasser aufgekocht, ein Bisschen Salz daran - sofern man welches hatte, vielleicht ein Stück Maisbrot dazu - das war unser Frühstück.
Als unser Vater aus der Gefangenschaft entlassen wieder zu Hause war, organisierte er gleich Knoblauch.
Dieser kam in die Suppe die daraufhin richtig Geschmack bekam und ab sofort Knoblauchsuppe hiess.
Sie schmeckte gut, war gesund und um Eitelkeit brachte man sich damals keine Sorgen machen. Es ging ums reine Überleben.
Als Kind war ich absoluter Vegetarier und bin es eigentlich heute noch, wobei eine Frikadelle wegen des darin enthaltenen Brötchens noch als vegetarische Speise durchgeht.
Das Selbe gilt für ein gut paniertes Wienerschnitzel.
Dieser Umstand mag mir sehr entgegen gekommen sein, jedenfalls habe ich nie gehungert und keine Mangelerscheinung erlitten, wie so mancher meiner Generation.
Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass man sich nicht mehr als satt essen kann.
Und wenn ich mein ultraleichtes Fluggewicht und damit meinen Pilotenschein behalten will, so darf ich nicht einmal das und muss gewaltig auf die Bremse treten.
Wie schon gesagt: Ich habe nie gehungert, aber Hunger ist für mich ein Gespenst geblieben.
Man braucht mir eigentlich keinen guten Appetit zu wünschen - denn den habe ich immer.
Ich habe kein Problem für einen Liter Flugbenzin 2,50 EURO zu bezahlen, wenn wenn es mal sein muss. Wenn aber die Rede davon ist, im Restaurant für ein Gericht einen Betrag zu zahlen,
mit dem die Familie eines Busfahrers ein Woche auskommen muss, da komme ich mir vor, als sei ich um 1780 bei Marie Antoinette am Hof zu Versailles - und das ist nicht meine Welt.
Es gibt kaum etwas schöneres, als ein gutes Essen mit Freunden - aber um Himmelswillen darf keine Sozialprestige Demonstration daraus werden - Das verdirbt mir den Appetit.
Warum ich dieses schreibe:
Das Thema brennt mir unter den Nägeln und ich bin damit schon häufig angeeckt - mit dieser Altlast aus Kindertagen - einer richtigen Macke,
die ich nicht los werde und auch nicht loswerden möchte. Vor diesem Hintergrund erlebe ich nämlich unseren heutigen Wohlstand und über 60 Jahre Frieden viel intensiver als jemand,
der es nicht erlebt - oder alles vergessen hat, weil ja früher alles besser war.
Jetzt freut es mich um so mehr, dass mich endlich jemand versteht. - Die Zeit heilt eben nicht alle Wunden - und wenn, dann bleiben tiefe Narben.
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