Der Bittner-Bäcker aus Glatz in Schlesien

Erinnerungen an meine Kindheit von:

Manfred Bittner Elektromeister

Sohn des Bäckermeisters Gerhard Bittner

Enkel des Bäckermeisters Paul Bittner

Erinnerungen

Erinnerungen an Glatz

Im Januar 1939 bin ich in Glatz an der Roßstaße 11 geboren und war, als wir am 6. März 1946. Mutter´s  31. Geburtstag Glatz verlassen mußten,

 6 Jahre alt. Trotz meines kindlichen Alters habe ich viele Erinnerungen, die ich auf den folgenden Seiten wiedergebe.

Die Bittner-Bäckerei war zwar mein Elternhaus, aber die meiste Zeit verbrachte ich bei meinen Großeltern auf der Schanze.

 Auch in den folgenden Jahren, bis zum Tode meiner Großmutter im April 1949 lebte ich bei ihnen, zunächst in Allendorf / Borgloh und dann in Hagen a.TW.

Wie die Vertreibung von statten ging, möchte ich hier nicht erwähnen. Sie ist im Internet unter:

  www.grafschaft-glatz.de/vertreib/htm

beschrieben, und zwar in voller Wahrheit, genau, wie wir es erlebt haben, damals am 6.und 7. März 1946 - den Weg vom Finanzamt zum Hauptbahnhof, in den Viehwagon.

Das grosse schwarzweiss Foto zeigt einen Vertriebenen-Treck auf dem Rossmarkt, fast ausschliesslich Frauen, Kinder und alte Menschen. Die Männer waren zu Militär eingezogen.

Genau das habe ich durch unser Wohnzimmerfenster auf der Rossstrasse gesehen.

Jeder Deutsche musste eine weisse Armbinde tragen und durfte auf der Strasse kein Deutsches Wort sprechen.

Allenthalben standen Posten der Miliz, die den grössten Teil der Habe konfiszierten, bis hin zur Leibesvisitation.

Bestenfalls blieb uns nur das, was wir mit den Händen tragen konnten - manchen nur das nackte Leben.

Erinnerungen an die Rossstrasse

Vor dem Hause stehend war links die Ladentür, das Schaufenster, und rechts die Haustür, alles nicht sonderlich groß. Wenn man den Laden betritt,

 so ist links eine Tür in eine Abstellkammer, die wir Remise nannten. Rechts eine Tür in den Flur mit einer Treppe nach oben und darunter in den Keller (1 Raum aus Bruchsteinen und sehr alt)

Im Flur geradeaus ging es in den ersten Hof und nach links 1 oder 2 Stufen hinab in die Backstube. Hier stand eine Teigknetmaschine Fabrikat DIOSNA, Dirks & Söhne Osnabrück.

Die Treppe hoch war geradeaus die Küche mit einem gemauerten Herd und einem großen Tisch, an den alle gemeinsam assen.

 Durch die Küche hindurch kam man in einen kleinen Raum, in dem das Telefon, ein W38 Tischapparat stand.

 Links davon war das Badezimmer mit freistehender Gusseiserne Badewanne mit Füssen; das fließende Warmwasser lieferte der darunter liegende Backofen.

Noch weiter geradeaus ging es in´s Kinderzimmer mit 2 Fenstern zum Hof. Die 3 Fenster zur Roßstraße waren das Wohnzimmer. Eine Etage höher waren die Räume der Angestellten.

Hinter dem Hof war das „Hinterhaus“. Hier wohnten Mieter und im Erdgeschoß stand eine Wäschemangel mit Steinen beschwertem Holzkasten, aber unbeheizt.

Hinter dem Hinterhaus war nochmal ein kleiner Hof und dann kam der Mühlgraben.

Erlebnisse auf der Roßstraße.

 Auf der Festung Glatz arbeiteten viele Gefangene im Rüstungsbetrieb der AEG. Wir, der Bittnerbäcker hatten vertragsgemäss Brot zu liefern.

 Es gehörte zum Tagesablauf, dass ein LKW, ich meine es sei ein Opel-Blitz gewesen vor der Haustür stand; dabei ein Posten in Uniform und mit Gewehr.

 Im Hausflur wurden dann Komissbrote von Mann zu Mann geworfen und so der Wagen beladen. Ich hatte dort eigentlich nichts zu suchen, aber es hätte ja sein können,

 dass ich es verpasste, wenn ein Auto mit Holzvergaser geschürt wurde - also riskierte ich eine „Backfeife“. Dann sah ich aber, wie zwischendurch einige Brote

 unter der Sitzbank des Fahrerhauses verschwanden. Den Posten hatte meine Mutter ablenkend  in ein Gespräch verwickelt. So kam ein wenig Zusatzverpflegung

für die Gefangenen auf die Festung, die dort unter schlechtesten Bedingungen arbeiteten. Ein anderes mal wurden Gefangene vom Hauptbahnhof über die

 Roßstraße zur Festung getrieben.

Meine Mutter hatte in der Backstube Bescheid gesagt und Grossvater ging mit zwei Lehrjungen, einem Eimer Trinkwasser und Tassen

 an die Strasse. Ein uniformierter trat schließlich mit seinem Stiefel den Eimer um. Zu Glück schaltete sich meine Mutter ein, denn Großvater hatte sich langsam zum

„Staatsfeind“ entwickelt. Jeder, der zu dieser Zeit noch über etwas gesunden Menschenverstand verfügte wusste, dass es mit Gross-Deutschland nun endgültig den

Bach hinab geht. Meine Mutter und die Grosseltern wussten was die Stunde geschlagen hatte. Vieles wurde verschenkt, Wertsachen wurden vergraben.

 Auf der Festung hatte man nach dem 8. Mai 1945 jedenfalls nicht alles vergessen.

Die Bittner-Bäckerei wurde nicht geplündert!

Der Weg von der Rossstrasse zur Schanze.

 Ich ging die Roßstraße hinab zur Königshainerbrücke, die das 38er Hochwasser mitgenommen hatte und durch den „Holzsteig“ ersetzt  war.

 Linke vor der Brücke hatte der Steinmetz Elsner seinen Betrieb. Über die Neiße rüber, unterquerte man die Bahn, überquerte die Wagnerstraße

und ging die Königshainerstraße entlang. An der Mälzstraße nahm ich meistens die Abkürzung über den Lagerplatz der Gießerei Thiel & Maiwald und

ging dann beim Tischler Weinitschke die Stufen zur Schanze hinauf.

Wenn ich mit Opa auf die Schanze ging, so nahm er oft den Weg die  Königshainerstraße entlang, um bei´m Immig Robert ein Bier zu trinken

 - eher aber, um das Neuste aus der Stadt zu hören. Am Tresen der Gastwirtschaft brannte immer eine kleine Flamme von Stadtgas,

welche eine magische Anziehungskraft auf mich ausübte. Mein Opa war Nichtraucher und so dauerte es lange, bis ich erkannte, daß es sich um einen

Zigarrenanzünder handelte.

Der Großvater nahm meistens bei`m Weinitschke-Tischler den steigenden Weg zum Blockhaus und vor diesem dann zwei kleine Treppen in Richtung Wohnhaus.

Der normale Fussweg dauerte ca. 12 Minuten. Wenn ich aber alleine ging, dann konnte leicht eine Stunde daraus werden.

 

Das Blockhaus auf der Schanze.

 Leider finde ich vom Blockhaus kein Foto. So versuche ich es aus dem Gedächtnis zu beschreiben:

Es ist ein kubischer Bau ohne besonderes Dach, aus glatt behauenem Sandstein. Die Längsfront zeigt zur Stadt und hat rechts ein grosses,

doppelflügeliges Holztor von enormer Stärke. Ansonsten hat das Blockhaus rundherum keine Fenster, sondern nur Schiessscharten für die Kanonen.

Der Innenraum ist als Tonnengewölbe ausgeführt. Von der Grösse her hatten bis zu drei Personenwagen Platz. Elektrisches Licht war auch vorhanden.

An der Querseite, parallel zum Königshainerbach, ist etwas tiefer, nur von aussen zugänglich, ein Teil unterkellert. Im Keller ist ein Brunnen und ein Elektromotor,

der eine Mohnmühle treibt. In diesem Keller haben wir damals den Einmarsch der Russen abgewartet, denn hier hätte man uns am wenigsten vermutet.

Gegenüber von diesem Kellereingang hatte Opa seine Ställe für zwei Kühe und Geflügel; alles aus Holz gebaut.

Um das Blockhaus herum führt ein Weg. So konnte man mit dem Auto bis zu den Stufen des oberen Hauses fahren.

 

Der zerlegte Vergaser.

 Mein Vater war bereits zur Wehrmacht eingezogen, da stand in der Garage auf der Schanze noch, aber schon abgemeldet sein Wagen - ein Adler Trumpf-Junior.

Mein Vater meinte daß dieser Wagen wohl in Osnabrück bei Karmann gebaut worden ist. Grossvater hatte den Vergaser ausgebaut und dieser viel mir eines

Tages in die Hände. Egal welche Strafe auch drohte, der Vergaser wurde zerlegt, wobei einige Teile Schaden nahmen. Mit dem Zusammenbau wollte es

 nicht klappen - es wollte nicht passen, bzw. es blieben immer Teile übrig. Irgend wann wurde der Wagen dann vom Militär requiriert. Ich entsinne mich noch,

 wie Deutsche Soldaten kamen, einer sich an`s Lenkrad setzte, ein anderer Kommandos gab und etwa drei oder vier Mann das Auto davon schoben.

 

Blick von der Schanze zur Schneiderbaude.

 Auf der Schanze unter der linken Kastanie stehend, nach Nordwesten sehend ergab sich dieser Ausblick. Links im Bild die Königshainerstraße; rechts davon,

wenig einladend direkt an Bauer Plate`s Hof grenzend die „Baracken“ wie wir damals sagten.

Links die Königshainerstrasse, am Horizont kaum sichtbar die Schneiderbaude. Auf dem Foto nicht sichtbar, der Schornstein der Königshainer Brauerei.

Die Schneiderbaude ist eine Ausflugsgaststätte

 am Westhang des Überschaarberges, von der man einen

 herrlichen Blick über das Glatzer Bergland hat.

 

Ich entsinne mich, wie gegen Ende des Krieges eines Sonntags, an der Böschung rechts von den Baracken, Schützengräben ausgehoben wurden.

Ein Lautsprecherwagen stand dabei und unablässig wurde laute Marschmusik abgespielt.